04.11.24 (OV HST)
Am Mittwoch, 30. Oktober 2024 hat Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in einer kurzfristig einberufenen Sonderführungsklausur seine „Strategie Zoll 2030“ bekannt gegeben. Seitdem herrscht größte Unruhe und Ungewissheit unter den Kolleginnen und Kollegen des Zolls. Seit Mittwoch fragen sich 44.000 Zöllnerinnen und Zöllner „Was wird aus ‚meiner‘ Zollverwaltung, wie geht es weiter mit meiner Familie und mir, welche Tätigkeit werde ich zukünftig wo und unter welchen Bedingungen verrichten?“ Der Vorstand des Ortsverbands Stralsund im BDZ hat in seiner außerordentlichen Sitzung am 04. November 2024 versucht, die bislang bekannten Fakten zu ordnen und eine erste vorläufige Einschätzung vorzunehmen.
Der Stralsunder OV-Vorstand gibt folgende Erklärung ab:
Wie alle Zöllnerinnen und Zöllner sind auch unsere Informationen beschränkt auf die am 30. Oktober vom BMF veröffentlichte Pressemitteilung und den nahezu wortgleichen im Mitarbeitendenportal ersichtlichen Brief des Ministers. Die Aussagen sind offenbar bewusst schwammig und wenig konkret gehalten. Teilweise können wir z. Zt. nur vermuten, was wirklich gemeint ist. Unsere nachfolgende Einordnung ist daher ausdrücklich als vorläufig anzusehen und wird möglicherweise nach Bekanntwerden weiterer belastbarer Fakten zu revidieren sein. Dennoch sehen wir uns in der Pflicht, unsere Kolleginnen und Kollegen auf mögliche weitergehende Folgen und Auswirkungen aufmerksam zu machen.
Für eine umfassende Diskussion stehen wir jederzeit gerne zur Verfügung.
Aufgrund der bekannten Fakten kommen wir z. Zt. zu folgender Einschätzung, die dem Grunde nach jedoch eher einem schier endlosen Fragenkatalog gleichkommt:
1. Der Name
Uns fehlt jegliche Fantasie anzunehmen, dass die Namensgleichheit („Zoll 2030“) mit dem seit Jahren sattsam bekannten Konzept einer gewerkschaftlichen Mitbewerberin dem Zufall oder der Einfallslosigkeit der PR-Abteilung des BMF geschuldet ist. Es handelt sich hierbei um ein Konzept, welches der BDZ seit jeher nicht etwa aus Borniertheit sondern aufgrund massiver fachlicher Bedenken, von denen bislang kein Einziges zerstreut geschweige denn überzeugend widerlegt werden konnte, abgelehnt hat.
2. Die organisatorische Neuordnung der Zollverwaltung
Die Generalzolldirektion soll durch „Zusammenlegung von Direktionen“ zukünftig in zwei Stränge „Wirtschaft und Einnahmen“ sowie „Sicherheit und Vollzug“ unterteilt werden. Diese Aufteilung soll auf der Ortsebene fortgesetzt werden, indem „Ermittlungseinheiten des Zollfahndungsdienstes, der Finanzkontrolle Schwarzarbeit und der Kontrolleinheiten im Zoll zusammengeführt werden.“ Aufgrund dessen müssen wir vermuten, dass die Bereiche „Wirtschaft und Einnahmen“ einerseits sowie „Sicherheit und Vollzug“ andererseits auch auf der örtlichen Ebene strikt voneinander getrennt sein werden. Wir wissen derzeit nicht,
- ob dies noch innerhalb ein und derselben Ortsbehörde erfolgen wird,
- oder ob getrennte örtliche Behörden in den beiden Strängen errichtet werden,
- ob die Zollämter sowie die Sachgebiete Ahndung dem Bereich „Wirtschaft und Einnahmen“ oder dem Bereich „Sicherheit und Vollzug“ zugeordnet werden.
Angesichts der von Bundesminister Lindner allenthalben geforderten Einsparmaßnahmen befürchten wir jedenfalls, dass die Strukturveränderung mit einer massiven Schließung von Zollstandorten einhergehen könnte und dass nicht mehr an allen vorhandenen Standorten alle dort bislang wahrgenommenen Aufgaben auch in Zukunft noch wahrgenommen werden.
Wirtschaft und Einnahmen sowie Sicherheit und Vollzug sind nach unserer Auffassung zwei Seiten einer Medaille. Wer einmal versucht hat, eine Medaille zu spalten, weiß, dass danach nur Schrott übrig bleibt. Anders als die Befürwortenden einer Bundesfinanzpolizei meinen, ist Zollvollzug nämlich kein Selbstzweck. Der Arbeitsauftrag des Zollvollzugs ist keiner sui generis sondern erwächst aus dem Bereich Wirtschaft und Einnahmen. Zollvollzug überwacht, kontrolliert und ahndet Verstöße gegen das, was Wirtschaft und Einnahmen ausgearbeitet, verfügt oder bewilligt hat. Wirtschaft und Einnahmen wertet die Feststellungen des Zollvollzugs aus, fertigt daraufhin Abgabenbescheide, ändert oder entzieht Bewilligungen und formuliert ggfls. fachliche Anforderungen neu. Eine saubere Trennung ist faktisch gar nicht möglich, denn z. B. fertigen die Kontrolleinheiten derzeit auch Abgabenbescheide und sind die Zollämter sowie die Sachgebiete B in großem Umfang im Bereich der inneren Sicherheit tätig (VuB, Außenwirtschaftsrecht). Die Aufgaben der Sachgebiete Ahndung und Vollstreckung sowie der Zollämter sind bereits begrifflich in wesentlichen Teilen „Vollzug“. Eine denkbare Auftrennung würde zu massivsten fachlichen Probleme führen, deren Darstellung den Umfang dieses Papiers bei Weitem sprengen würde.
Klärungsbedürftig ist aus unserer Sicht (wir sind keine Verfassungsjuristen!), ob eine Herauslösung des Zollvollzugs aus der Rumpfverwaltung nicht sogar geeignet wäre, um seine Existenzberechtigung per se in Frage zu stellen; nämlich muss ausgeschlossen werden, ob damit ggfls. die verfassungsmäßige Grundlage für die ausnahmsweise sonderpolizeiliche Zuständigkeit des Bundes obsolet und die Zuständigkeit für die Verfolgung und Ahndung von Zoll- und Steuerzuwiderhandlungen in die originäre allgemeinpolizeiliche Zuständigkeit der Länder zurückfallen könnte. Angesichts der Sparzwänge könnte die Beantwortung dieser Frage zudem eine exorbitante haushalterische Dimension erlangen.
3. Die Reform der Ausbildung
Es soll ein „eigener Studiengang für den Vollzugsbereich“ eingerichtet werden. Wir nehmen an, dass die Nennung des mittleren Dienstes an dieser Stelle lediglich versehentlich unterblieben ist und die Ausbildung in dieser Laufbahn ebenfalls gesplittet werden soll. Die Einrichtung eines eigenen Studienganges deutet auf eine Laufbahntrennung hin. Dies würde bedeuten, dass
- ein Wechsel zwischen den beiden Strängen nur noch im Wege eines Laufbahnwechsels möglich wäre, der im mittleren Dienst eine Qualifizierung von einem und im gehobenen und höheren Dienst von eineinhalb Jahren voraussetzt (§ 42 Abs. 2 BLV),
- die Kolleginnen und Kollegen des Vollzugsbereichs letztendlich gezwungen wären, bis zum Ruhestand Schichtdienst an der Waffe zu verrichten (von der Anwendung der besonderen Altersgrenze für Vollzugsbeamte des Bundes auf die Bediensteten des Zollvollzugs ist freilich keine Rede!),
- sie im Falle eintretender Vollzugsdienstuntauglichkeit mangels interner Anschlussverwendungen überwiegend der Zwangspensionierung anheimfallen würden.
Mit einer solchen Laufbahntrennung würde sich die Zollverwaltung in Gänze der bisherigen personellen Flexibilität begeben und die bislang durch die große Verwendungsbreite gekennzeichnete Attraktivität des Zoll-Berufes verloren gehen.
4. Die Reduktion der Zollämter
Das Vorhaben, Zollämter flächendeckend zusammenzulegen, ist nicht neu, sondern wurde schon in den letzten Monaten von der GZD implementiert. Allerdings war die Maßnahme bislang lediglich auf die Binnenzollämter bezogen. Diese Einschränkung sieht Lindner nun offenbar nicht mehr vor.
5. Die Verwendung freier Dienstposten zur Stärkung der Ortsbehörden
Ähnliche Zusagen hat es in der Vergangenheit immer wieder einmal gegeben, diese sind sodann regelmäßig verpufft. Es gibt keinerlei Grund anzunehmen, dass es dieses Mal anders sein könnte.
6. Der Bürokratieabbau
Die Forderung nach bzw. Ankündigung von Bürokratieabbau kann getrost als populistisch bezeichnet werden. Der Minister verschweigt, dass zumindest die Formalien des Zoll- und Verbrauchsteuerrechts ihren Ursprung in Rechtsakten der Europäischen Union finden. Weder BMF noch GZD haben die Möglichkeit, daran etwas Maßgebliches zu ändern.
7. Der Zeitpunkt
Der FDP-Chef äußert sich nicht zu der Frage, ob seine „Strategie“ in der Koalition abgestimmt ist, geschweige denn, ob er die erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten (ggfls. auch für eine u. U. erforderliche Grundgesetzänderung) zusammen bekommt. Nach Lage der Dinge darf dies durchaus bezweifelt werden. Wir können nur hoffen, dass nicht 44.000 Zöllnerinnen und Zöllner für ein perfides Wahlkampfmanöver in Anspruch genommen werden.
8. Der personelle Wechsel
Frau Präsidentin Hercher ist ein regelrechtes Eigengewächs der Zollverwaltung, sie hat in nahezu allen denkbaren Bereichen des Zolls selbst Dienst verrichtet. Bei allen inhaltlichen Differenzen können wir feststellen, dass sie nie vergessen hat, woher sie selbst kommt und dass sie sich immer für die Interessen der Zöllnerinnen und Zöllner eingesetzt hat. Wir danken für ihr jahrzehntelanges Engagement und wünschen für die Zukunft alles erdenklich Gute. Herrn Präsidenten Dr. Rolfink wünschen wir stets eine glückliche Hand und Erfolg für seine neue Aufgabe, möge auch er die Belange der ihm anvertrauten 44.000 Kolleginnen und Kollegen stets im Blick haben.
9. Unsere Forderungen:
Ausgehend von dem Vorstehenden erhebt der Vorstand des Ortsverbands Stralsund im BDZ vorerst folgende Forderungen:
- umgehende detaillierte Aufklärung über die Vorhaben des BMF,
- den uneingeschränkten Erhalt der ganz- und einheitlichen Zollverwaltung, was organisatorische Veränderungen, die tatsächlich zu einer verbesserten Aufgabenerledigung führen, nicht ausschließt,
- den grundsätzlichen Erhalt aller Zoll-Standorte,
- die Möglichkeit, dass alle von den organisatorischen Maßnahmen betroffenen Kolleginnen und Kollegen an ihren bisherigen Dienstorten und in ihren bisherigen Verwendungen verbleiben können (soweit sie nicht selbst eine Veränderung anstreben oder diese aus anderweitigen dienstlichen Gründen erforderlich ist); einen pauschalen und wenig belastbaren Verweis auf eine irgendwie „sozial-verträgliche Umsetzung“ oder gar lediglich auf die Möglichkeiten des mobilen Arbeitens können wir nicht akzeptieren,
- die Gewährleistung, dass alle Zollbediensteten auch in Zukunft ohne einen Laufbahnwechsel absolvieren zu müssen, grundsätzlich in allen Tätigkeitsbereichen der Zollverwaltung eingesetzt werden und zwischen diesen wechseln können.
Unsere Fragen und Forderungen haben wir in die innergewerkschaftlichen Prozesse des BDZ eingebracht.