Persönliche Erinnerungen von Joachim Wöllner
Gegen Ende des Jahres 1982 nahm ich meine Tätigkeit als Leiter der Zolldirektion Leipzig/Halle (Bis Herbst 1989 trug sie die Bezeichnung Bezirkszollverwaltung Leipzig) auf. In diesem Beitrag will ich meine Erinnerungen auf die Jahre 1989 und 1990 konzentrieren.
1989 wurde offensichtlich, dass die DDR auf eine tiefgreifende Krise zusteuerte.
Wir in Leipzig erlebten das besonders deutlich anhand der sich ausweitenden Großdemonstrationen.
Ich erinnere mich an die damals vielfach geäußerte Meinung, der sich grundsätzlich wir Zöllner anschlossen, die Parteiführung sei von „Sprachlosigkeit“ befallen. Sie gebe dem Volk keine Antworten, wie es in der DDR weiter gehen solle. Es machte sich zunehmend Unzufriedenheit in der Bevölkerung breit, die auch die Zöllner beherrschte.
An der Wandzeitung im Dienstgebäude der Zolldirektion wurden im Herbst 1989 erstmals vornehmlich durch junge Mitarbeiter Meinungen kundgemacht, die sich kritisch gegen die Sprach- und Konzeptionslosigkeit der Leitung der SED-Grundorganisation richteten. Das trug schließlich dazu bei, dass die Parteileitung ihren Rücktritt erklärte. Eine neue Leitung wurde gewählt.
Als Ende 1989 die Planstellen für die hauptamtlichen Sekretäre der SED in den Zolldirektionen abgeschafft wurden, war das für Leipzig bereits ohne Belang.
In Leipzig haben wir immer Wert auf ein offenes Wort miteinander gelegt. Ich erinnere mich an ein Gesprächsforum mit Mitarbeitern aller Zollämter Ende September 1989, auf dem leidenschaftlich über aktuelle politische und persönliche Probleme gesprochen wurde.
Beeindruckt hatte mich ein junger Mitarbeiter des Binnenzollamtes Leipzig, der innerlich aufgewühlt und mit Tränen in den Augen sagte, er wolle dem Volke dienen und nicht einer Partei, obwohl er Mitglied der SED war. Ich stimmte ihm zu.
Die vielen Fragen zur Zukunft der Zollverwaltung der DDR konnten wir damals nicht vollständig beantworten. Der Grundtenor der Meinungen war damals, eine bessere DDR gestalten zu helfen. Deshalb wurde das Schreiben des Leiters der Zollverwaltung, Günther Arndt, vom 20.12.1989 an alle Mitarbeiter mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen. In dem Schreiben wurde eine erste Bilanz der Tätigkeit der Zollverwaltung in den vergangenen Wochen gezogen.
Erste Vorstellungen wurden dargestellt, wie die Zollverwaltung der DDR im „erneuerten Sozialismus“, wie es im Schreiben hieß, nach internationalen Gepflogenheiten neu zu profilieren ist.
Mit Aufmerksamkeit wurde zur Kenntnis genommen, dass Forderungen von Mitarbeitern nach “ Schaffung nichtstaatlicher Interessenvertretungen, die das demokratische Mitsprache- und entscheidungsrecht“ garantieren, unterstützt werden.
Mit Genugtuung wurde außerdem aufgenommen, dass die sozialen Rechte der Zollangehörigen in Rechtsnormen zur Regelung des Dienstverhältnisses festgeschrieben werden sollen.
Es war nur zu verständlich, dass das „Initiativprogramm“ vom 22.12.1989, das Dresdener Zöllner ausgearbeitet und beschlossen hatten, zu diesem Zeitpunkt in der gesamten Zollverwaltung Widerhall fand.
Die Dresdener Mitarbeiter riefen auf, Interessenvertretungen in Form demokratisch gewählter Basisgruppen in allen Dienstbereichen zu bilden sowie Maßnahmen vorzubereiten und durchzuführen, die rechtlich einklagbare Regelungen für die Arbeits- und Lebensbedingungen der Zöllner herbeiführen.
Die Einsicht über die Notwendigkeit einer unabhängigen Zollgewerkschaft fand immer größeren Widerhall.
Schon am 03. März 1990 fand der Gründungskongress der „Gewerkschaft der Zöllner – GdZ“ in Plessow statt. Der Leipziger Wolfgang Kießlich wurde in den geschäftsführenden Vorstand gewählt.
Im Mai 1990 erfolgte in Leipzig die Wahl des geschäftsführenden Vorstandes der GdZ. Jürgen Hennig vom Postzollamt Leipzig wurde zum Vorsitzenden gewählt.
Ich habe damals die engagierte und umsichtige Arbeit der Gewerkschafter kennen und schätzen gelernt. Wurde meine Hilfe eingefordert, habe ich sie nach Möglichkeit geleistet. Auf jeden Fall war die ständige gegenseitige Information und verständnisvolle Zusammenarbeit für uns bestimmend.
Ein für die Zollverwaltung der DDR bedeutsamer Einschnitt in der Entwicklung war das Treffen der Leiter der Zollverwaltung der DDR und der Bundeszollverwaltung am 06. März 1990 in Berlin. Das Treffen wurde als erster offizieller bilateraler Kontakt beider Zollverwaltungen bewertet.
Der Gegenstand der Beratung und die Ergebnisse zeigten, mit welcher atemberaubenden Geschwindigkeit sich die Entwicklung vollzog.
Im Mittelpunkt der Beratungen standen jene Aufgaben, die sich für die Zolldienste aus dem Prozess der Annäherung beider deutscher Staaten und der künftigen Herstellung ihrer Einheit ergaben.
Es wurde Übereinstimmung erzielt, dass eine annähernde Aufgabenidentität in einem einheitlichen Staat unerlässlich sein wird.
Das würde eine umfassende Rechtsangleichung DDR-BRD und eine komplexe Umschulung des Personalbestandes der Zollverwaltung der DDR erfordern.
Grundsätzlich sollten die künftigen Aufgaben durch den vorhandenen Personalbestand der Zollverwaltung der DDR zu erfüllen sein.
Eine enge Kooperation beider Zollverwaltungen zur Bewältigung dieser Aufgaben wurde vereinbart.
Um unnötigen Zeitverzug zu vermeiden, erfolgte die Bildung von drei Arbeitsgruppen. Eine der Arbeitsgruppen beschäftigte sich mit der Vorbereitung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Bereits im April sollten die ersten Lehrgänge beginnen. So wurden die ersten zwei Lehrgänge in Leipzig am 17. April mit etwa 50 Teilnehmern eröffnet und am 17. Mai 1990 beendet.
Ich erinnere mich noch gern, wie ich die Lehrkräfte der Bundeszollverwaltung in der Zolldirektion empfing. Zunächst war das aufmerksame gegenseitige „Abtasten“ für beide Seiten spürbar.
Rasch wurde gegenseitiges Verstehen, Offenheit und Sachlichkeit das Bestimmende.
Gefördert wurde das, weil die Lehrer beeindruckt wurden von der guten Motivation ihrer Schüler und ihren Bemühungen, gute Studienergebnisse zu erreichen.
In angenehmer Erinnerung sind mir die vielen Gespräche geblieben, die wir gemeinsam mit den Lehrkräften führten. Es wurde wohl kaum ein Thema ausgespart.
Ein Höhepunkt war ein Grillabend, den wir gemeinsam mit unseren Ehepartnern im Garten der Direktion veranstalteten. Es gab Ur-Krostizer Bier und Bayerische Wurst und weitere Überraschungen aus den Heimatorten der Lehrer. So manche persönliche Bindung entstand, die heute noch andauert.
Die Fotos geben einen Einblick in die damals herrschende Situation.
Die Arbeit der Gewerkschaft ging weiter. Sie nahm sich der Hauptsorge der Mitarbeiter an, der Ungewissheit über ihre berufliche Perspektive und ihrer sozialen Sicherheit.
Mit Genugtuung nahmen wir alle das Telex des geschäftsführenden Vorstandes der GdZ vom 15. Juni 1990 zur Kenntnis, dem zur Information ein Brief an den Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maiziere, beigefügt war.
In diesem Brief machten die Gewerkschaften der bewaffneten Organe der DDR und der Zollverwaltung den Regierungschef mit ihrer Sorge um die rechtliche Stellung, berufliche Perspektive und soziale Absicherung aufmerksam. Die Gewerkschaften machten geltend, dass der Staat seiner Fürsorgepflicht gegenüber seinen Bediensteten nachkommen solle.
Ich habe damals gespürt, dass dieses engagierte Eintreten der Gewerkschaft für die Interessen der Mitarbeiter ihr viel Sympathie und Autorität einbrachte.
Die genannten Dokumente sind im Original nachzulesen in der „Chronik des Leipziger Zolls“, Herausgeber: Hauptzollamt Leipzig, 1996.
Neben den umfangreichen Arbeiten zur Aus- und Weiterbildung musste die Angleichung der Struktur der Zolldirektion an die der Bundeszollverwaltung gestaltet werden.
Für den Bereich der Zolldirektion Leipzig/Halle bedeutete das den Aufbau der Hauptzollämter Leipzig, Halle und Dessau.
Neben der personellen Auswahl und der Qualifikation der einzusetzenden Mitarbeiter erforderte das zum Beispiel die Beschaffung von Dienstgebäuden für die HZÄ Halle und Dessau und einige Zollämter.
Im Mai 1990 wurde ich zwar als Vorsteher des HZA Leipzig eingesetzt, aber Leiter der Zolldirektion blieb ich weiterhin, weil die Bildung der Zollbehörde in Magdeburg für das noch im Aufbau befindliche Land Sachsen-Anhalt erst vorbereitet wurde.
Bundestag und Volkskammer hatten in ihren Sitzungen am 21. Juni 1990 den Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit der DDR beschlossen. Das erforderte, ab diesem Zeitpunkt den Warenverkehr nach den Prinzipien zollmäßig abzufertigen, wie sie durch die Bundeszollverwaltung praktiziert werden.
Das galt auch für die Abfertigung der Güter für die Leipziger Herbstmesse, die zügig bereits eintrafen.
Es waren riesige Aufgaben, die in entsprechenden Kraftanstrengungen gemeinsam mit den Beratern der Bundeszollverwaltung bewältigt wurden.
Die Leipziger Zöllner haben damals die Beschlüsse der Volkskammer und der Regierung verantwortungsbewusst, mit Hingabe und mit voller Tatkraft und Energie gemeinsam mit ihren westdeutschen Kolleginnen und Kollegen verwirklicht.
Das sollte mit vollem Respekt bewertet werden.
Mit der Gründung der GdZ wurde ich ihr Mitglied und später Mitglied des OV Leipzig (Senioren) des BDZ. Ich habe auch im Ruhestand gewerkschaftlich weiter gearbeitet.
Zunächst habe ich mitgeholfen, Probleme und Ungerechtigkeiten in Rentenfragen lösen zu helfen.
Als Mitglied des Vorstandes des Sassnitzer Fischerei- und Hafenmuseum e.V. konnte ich eine weitere, mir angenehme Aufgabe, lösen helfen.
Als Bestandteil der Darstellung der Sassnitzer Geschichte im Museum habe ich die Geschichte des Zollamtes Sassnitz erforscht. Ich habe 1958 an diesem Zollamt meine Zolllaufbahn begonnen. In der Ausstellung des Museums ist der Werdegang des Zollamtes seit 2003 eingeordnet.
Es machte mir Freude, die Arbeit vieler Generationen von Zöllnern auf diese Weise würdigen zu helfen.
Höhepunkt in der Tätigkeit unseres Museums auf diesem Gebiet war der 110. Jahrestag des Bestehens des Zollamtes Sassnitz im Mai 2007.
In diesem Zusammenhang habe ich in der Person des Vorsitzenden des Ortsvorstandes Stralsund des BDZ, Axel Böhning, einen Menschen kennen und schätzen gelernt, der mit Verständnis, Umsicht und Initiative ein gutes Ergebnis in der Zusammenarbeit stets anstrebt. Deshalb gelang es uns gemeinsam, OV Stralsund und Sassnitzer Fischerei- und Hafenmuseum e.V., aus Anlass dieses Jahrestages einen „Tag des Zolls“ im Stadthafen Sassnitz zu gestalten. An den vielfältigen Veranstaltungen nahmen mehrere Hundert Bürger teil.
Würdiger Abschluss des Tages war ein Treffen der „Ehemaligen“ des Zollamtes, auf dem wir als Ehrengäste den Stellvertretenden Bundesvorsitzenden des BDZ, Wolfgang Fischer und den Vorsitzenden des Bezirksverbandes Nord, Christian Beisch, begrüßen konnten. Über dieses Ereignis haben wir in den Medien des BDZ und der regionalen Presse berichtet. Auf der Internetpräsentation des OV Stralsund kann darüber noch heute nachgelesen werden.
Das ersprießliche Zusammenwirken wird auch gegenwärtig und künftig zum beiderseitigen Nutzen weitergeführt.
Zum 60. Geburtstag des BDZ meinen herzlichen Gruß und dem BDZ viel Erfolg in der weiteren Arbeit!